Letzte Woche habe ich an der Fachtagung der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung teilgenommen. „Trends“ war das Thema. Hanni Rützler – DIE Ernährungstrendforscherin – und eine wunderbare Referentin hat uns praktischerweise gleich mehrere Seiten ihres neuen Buches vorgestellt. Ohne explizit Werbung dafür zu machen. Das Buch ist grafisch betrachtet wunderbar umgesetzt worden und scheint „Fleisch am Knochen“ zu haben. „Fleisch am Knochen“, liegt allerdings nicht gerade im Trend… Denn, die Zukunft sollte vorzugsweise vegan oder zumindest vegetarisch werden – so Priska Bauer, eine angesehene Schweizer Agrarökonomin (und ebenfalls eine wunderbare Referentin), die uns über einen äusserst interessanten Feldversuch aus einer SV-Service-Mensa berichtet hat.
Lies hier, was ich persönlich bemerkenswert empfand. Warnung: Es wird politisch… etwas schwarz-weiss.
Das Trend-Dilemma Ressourcenschonung
Ressourcenschonung ist trendy. Dieses Schlagwort ist ja nur die Spitze des Eisbergs auf einem Zahlenmeer von „Hard Facts“. Ein wichtiger „Hard Fact“ ist die Tatsache, dass die Schweiz, auch ernährungstechnisch betrachtet, ein verdammt kleines Land ist und richtig bergig dazu. Da ist nicht sooo viel Platz für Mensch, Tier und die Unmengen an Tierfutter, das ebenfalls lokal angepflanzt werden will – ohne dabei zu überdüngen, mit den diversen -ziden à discrétion um sich zu schmeissen und damit die Artenvielfalt der Flora und Fauna, die Böden und am Ende auch unser Trinkwasser damit noch mehr zu belasten.
Obwohl sich gerade die Bergwiesen ideal für die Tierzucht eignen, ist dies also nicht mehr so gut mit der Ressourcenschonung zu vereinbaren. Importiert man das Tierfutter, wird ein anderes Fleckchen Erde gerodet und das ist auch nicht gut. So die Ausgangslage. Man könnte natürlich riesige bunte Pro-Specie-Rara Gemüsegärten in diesen Berggebieten anlegen, nur muss Väterchen Staat dafür sorgen, dass die ganze Schweizer Bevölkerung auch zu Nährstoffen also Kalorien kommen kann = zu Stoffen, die uns am Leben halten. Kann man diese im eigenen Land nicht produzieren, wird man abhängig von anderen Ländern. Wieviel genug oder zu wenig ist, wird im sogenannten Selbstversorgungsgrad ausgedrückt und in Kalorien gemessen (siehe Linksammlung am Ende des Texts).
In Corona-Zeiten, als die Grenzen schliessen mussten, hätte das also sehr unangenehm werden können. Ich denke gerade an die Toilettenpapier-Vorräte… aber die Pasta-Regale waren in unseren Quartierläden auch schnell leer. Der Selbstversorgungsgrad war zuletzt im zweiten Weltkrieg ein Thema. Der war so tief, dass der traumatisierende Plan Wahlen in Kraft treten musste… und alle dann aufs Feld in die Anbauschlacht.
Die Tiere eben, würden uns erwiesenermassen die nennenswerteren und nährstoffreichen Kalorien liefern und den Selbstversorgungsgrad oben halten. Das ist also das Dilemma. Wenn ich dann so weiterdenke, ist das wohl auch der Grund, weshalb in der Schweiz der vegane Lifestyle gehypt wird oder die Gutbürger zumindest sehr viel empfänglicher sind für dieses Thema – während in anderen Ländern, natürlich ganz selbstverständlich, Spanferkel-Buden und -Reklamen die Strassenränder zäunen. Wäre auch interessant zu wissen wie Belgien und Holland so ticken punkto Ressourcenschonung. Belgien ist kleiner als die Schweiz mit 11 Mio. Menschen und Holland gleichgross mit 17 Mio. – ohne Feriengäste, die auch gefüttert werden wollen… (Zahlen frisch aus Wikipedia kopiert am Tag dieses Posts).
Kuchen fürs Volk – oder der Versuch, den Selbstversorgungsgrad zu verdauen
Was mich dennoch irgendwie fast erschreckte, ist die Tatsache, dass man – mit bundesrätlichem Beschluss – seit dem 4. August 2015 (BLV.admin, Erklärung von Mailand) an der Reduktion von Zuckermengen in Fruchtjoghurts und Cerealien „dökterlet het“, während in fast derselben Zeit, deutlich komplexere neue Lebensmittel mit vegan-Label aus den Fabriken gestampft wurden. Man kann sich fragen, ob das Wohl von – seien wir mal sehr grosszügig – 5% der vegan lebenden Schweizer Bevölkerung mehr wiegt als das von 95% der omnivoren.
Natürlich ist es die unsichtbare Hand des Marktes, die das so aussehen lässt. Praktischwerweise ist aber der Selbstversorgungsgrad höher dank der billigen Kalorien aus dem Zuckerkonsum und mit den neuen veganen Fertigprodukten noch höher. Kohle für die Industrie und Kohlenhydrate fürs Volk. Egal wie ausgewogen. Schätzungsweise (sehr) viele europäische Länder sehen das nicht so eng mit dem Gesundheitswert der Produkteauswahl, wie wir das hier in der Schweiz tun…
Wenn du jetzt hier den Faden verloren hast, oder Fragen zum Thema hast, schreibe mir auf info@nutridate.ch.
Meine Lieblingsaussagen und -schlagwörter der Fachtagung
Priska Bauer (ein Fazit aus der Feldstudie): „Wenn „vegane“ oder „vegetarische“ Speisen, nicht als solche deklariert werden, werden sie auch ganz selbstverständlich gegessen. Der Ersatz einer Wurst durch eine vegane Version, kam weniger gut an.“…. Ich denke gerade an: jegliche Salate, Suppen, Bohnen-und-Linsen-Eintöpfe, Crêpes, Pilzpfannen, Kartoffelgerichte, Spaghetti mit Tomatensauce, Pizza, Falafel, Shakshuka, Hummus, Quiches und Gemüsestrudel (Böreks), Empanadas, Frühlingsrollen, Sushis und Curries, Tacos, Belegte Brötli mit Oliven-, Peperoni- oder Tomatenpaste, Zaziki, Chips, Mais, Nüsse… Früchte. Geht alles ohne Fleisch und (fast alles) komplett ohne tierische Produkte (Ersatzprodukten und CookingHacks sei Dank… ein Markt für Ernährungsberatende?). Um nur einige zu nennen.
… aber die Fachtagung hatte auch anderes zu bieten ….
Hanni Rützler: „Cradle to Cradle“ ich finde den Ausdruck äusserst smart. Ist sowas wie „Kreislaufwirtschaft“, muss der Sache etwas nachgehen in Bezug auf Essen, aber es riecht nacht „zero waste“ und „sharing economy“. Auch smart fand ich den Trend „lokale Exoten“, also lokal angebautes Kurkuma, Ingwer, Kiwi und Co. sowie den Ausdruck „infinite Food“: Es bedeutet sowas wie Essen über die Grenzen hinweg, Street Food, Fressmeile, Pop-Up’s. Ich mag Rützler’s Überbegriffe. Sie gibt den Dingen Namen. Namen haben eine bewusstseinserweiternde Komponente und Bewusstsein ist der beste Weg zur Besserung – oder schafft neue Märkte.
Ronia Schiftan, Ernährungspsychologin: Sie hat über die Chancen und Tücken der Digitalisierung im Bereich der Ernährungsberatung informiert. Warum ich sie sehr mag ist: Sie wird unsere Kinder retten! Zusammen mit einer Kollegin hat sie das Projekt „Responsive Health Blogger“ initialisiert. Das wird ein Programm für Ernährungsberater*innen, welche unter diesem Label als seriöse Fachpersonen in den Sozialen Medien erkannt werden können…. und unsere Kinder die Posts ihrer Stars zu Food&Fitness Empfehlungen hoffentlich dann etwas kritischer sehen.
Für mehr Geheimnisse musst du zahlen!
Fazit
Es ist wohl Zeit, endlich mal trendy zu werden und Ressourcen zu schonen. Kann ja auch Möbel-Recyclen und Velo-Leihen bedeuten… und (note-to-myself:) um beim Thema Ernährungs zu bleiben – einfach mal gucken, was so im Kühlschrank vor sich hin gammelt und es nächstes mal verhindern = gar nicht oder kleinere Menge einkaufen, einfrieren, einmachen, überbacken und oder zu Suppe machen…. wie gesagt, das war ein note-to-myself. Du hast andere Herausforderungen.
Weitere Links
Schweizer Agrarbericht, Selbstversorgungsgrad aus der Sicht eines ETH-Professors
Infos über Ressourcenschonung
Novanimal Feldversuch aus dem Forschungsprojekt Innovationen in der Ernährung
Bild: Pexels